Selbstfürsorge in der Krise

Durchhalten ist keine option

Seit über einem Jahr suchte ich einen Kita-Platz für meine Tochter. Ihr Platz bei der Tagesmutter ist zeitlich begrenzt und wir brauchen im Anschluss weiter Betreuung. Aus verschiedenen Gründen ist es nicht einfach einen Kita-Platz zu bekommen, obwohl ich einige Erfahrung mit der Suche nach geeigneter Betreuung für meine Kinder habe.  Ich schwankte zwischen Zweckoptimismus („Es muss eine Möglichkeit geben!“) und Zweifeln („Sie wird in eine schreckliche Einrichtung kommen oder zuhause bleiben!“), aber ich hielt durch.

 

Durchhalten ist das Motto unserer Tage, scheint mir. Was bleibt uns anderes übrig mit Corona? Mit den Kontaktbeschränkungen, den geschlossenen Schulen und Kitas, den Absagen, den ständigen Planänderungen, der Gefahr krank zu werden und der Angst davor… Aber ehrlich gesagt ist diese Durchhalte-Taktik zermürbend. Sie frisst meine Energie auf und ich erstarre innerlich, weil ich mich nicht traue, die Wut und Ohnmacht, die die Situation in mir auslöst, wirklich zu fühlen, aus Angst dann nicht mehr durchhalten zu können, die Situation nicht mehr aushalten zu können.

Erstarrung ist ein neurobiologisches Muster, das in Extremsituationen lebensrettend sein kann. Dazu kann man einiges bei dem Neurobiologen Gerald Hüther und dem Psychologen Jeffrey Gray nachlesen, aber auch bei anderen Vertreter*innen der Traumaforschung gibt es dazu Literatur, z.B. von Michaela Huber.[1] In traumatischen Situationen haben wir damit die Möglichkeit, unsere Seele vor nicht auszuhaltenden Zuständen zu schützen. Muster, zu denen übrigens auch Kampf, Flucht und Anpassung zählen, werden aber auch unter weniger traumatischen Bedingungen aktiv, im Streit oder bei Überlastung zum Beispiel. Dann sind sie weniger hilfreich, weil wir uns und unsere Bedürfnisse nicht mehr richtig wahrnehmen können. Oft spüren wir dann nur die Folgen der Belastung, also Krankheiten, Burn out oder Depressionen. Sind wir erstarrt, macht sich eine Art Emotionslosigkeit breit, die meinem Empfinden nach häufig als Sachlichkeit getarnt wird.

 

Wie komme ich raus aus der Erstarrung? Es hilft, mich selbst wahrzunehmen und überhaupt erstmal aufmerksam zu beobachten, wann ich in Mustern agiere. In welcher Situation bin ich gerade? Was fühle ich? Was brauche ich eigentlich gerade? Das ist so ziemlich das Gegenteil von Durchhalten. Erst, wenn ich mich wieder spüren kann, mit meiner Wut und Ohnmacht, finde ich einen Zugang zu meinen Bedürfnissen und kann erkennen, was ich brauche. Dann kann ich aktiv werden und überlegen, wie ich für mich selbst sorgen kann.

 

Seitdem ich dieses Muster der Erstarrung kenne, erkenne ich es auch besser bei mir selbst. Bei der Suche nach dem Kita-Platz kam für mich noch dazu, dass ich mich schwer damit tue, dass unsere Kinder in ihrem Wohlergehen gerade sehr auf uns Eltern zurückgeworfen sind. Wenn das System, also das sogenannte Dorf, das wir brauchen, um ein Kind großzuziehen, wegfällt wegen geschlossener Einrichtungen, Ausgangsbeschränkungen und Kontaktarmut, dann steigen die Anforderungen an uns Eltern bis hin zur Überforderung, dann muss ich viel mehr halten, als ich eigentlich kann.

 

Letzte Woche kam dann endlich die ersehnte Zusage von der Wunsch-Kita. Das war ein sehr emotionaler Moment für mich, in dem sich die Erleichterung, aber auch der Schmerz über die Ohnmacht ihren Weg gebahnt haben. Die Erstarrung fiel von mir ab. Es war gut, das fühlen zu können. Aber es hat mir auch nochmal gezeigt, wie wichtig es ist, in dieser Krise für mich selbst zu sorgen. Die nächste Herausforderung in Form von Wechselunterricht rollt schon um die Ecke. Ich will versuchen, nicht nur die Betreuung zu organisieren, sondern mir auch kleine Freiräume zu erhalten für Momente, in denen ich mir Gutes tue und dabei ganz bei mir sein kann.

 



[1] Neben der jeweils erwähnten Literatur bringe ich in meinen Beiträgen oft auch Erkenntnisse aus meiner Ausbildung als Konfliktberaterin ein, der Dank geht hier an meine Ausbilder*innen Karl-Heinz Bittl und Karen Johne.

 

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